Anreger und Vorbilder III:

James Baldwin

Nicht lange nach meinem Coming-out als Schwuler war ich ständig auf der Suche nach Literatur, die mir zu einem besseren Selbstverständnis und Selbstbewusstsein verhelfen konnte. Das waren zumeist Sachbücher. Aber zu meinem 27. Geburtstag bekam ich dann von meinem damaligen Freund den Roman „Giovannis Zimmer“ von James Baldwin geschenkt. Auch wenn die Geschichte am Ende tragisch endete, faszinierte sie mich doch sehr. Das lag sicher auch an der grandiosen Schreibweise des Autors. Ich interessierte mich nun mehr für sein Werk und las auch Texte von ihm auf Englisch. So fand ich in einem Gebrauchtbücherladen „Another Country“, was ich etwas schwieriger zu lesen fand. Bei der ehemaligen Schulliteratur meiner älteren Geschwister fiel mir die Kurzgeschichte „This morning, this evening, so soon“ in die Hände.
Ich schätzte bei allen Texten von Baldwin seine prägnante Darstellung gesellschaftlicher Probleme bei gleichzeitig sehr differenzierter Schilderung der Protagonisten. Kein holzschnittartiges Abbilden von „Gut“ und „Böse“. Mich bewegten die sehr gefühlvollen Erzählungen und der Hintergrund der Rassendiskriminierung in den USA. Allerdings konnte ich mir diese überhaupt nicht richtig vorstellen. Warum sollte man jemanden nur wegen seiner Hautfarbe oder Herkunft ablehnen? Heute ist mir das zwar immer noch unverständlich, aber mein Erfahrungshorizont hat sich mittlerweile erweitert und ich weiß, dass es solche Haltungen nicht nur in den USA früherer Jahre gab.
Was mich noch heute an Baldwin fasziniert, ist sein Engagement für die schwarze Bürgerrechtsbewegung, seine kritische Haltung gegenüber der dogmatischen Religion und seine Unabhängigkeit. Er hat sich nie von Organisationen oder Parteien vereinnahmen lassen. Immerhin war er ein wichtiger Berater von Martin Luther King, der offensichtlich keine Probleme mit seiner Homosexualität hatte, die ja damals in den allermeisten amerikanischen Bundesstaaten noch verboten war. Doch manch andere Mitstreiter sah das wohl anders und wollte ihn aus der Bewegung ausstoßen, sowohl die eher islamisch orientierten, als auch die christlichen Teile der Bürgerrechtsbewegung.
Das Gefühl der Unterdrückung muss ihn so sehr belastet haben, dass er nach Europa floh und dort lange Zeit lebte. Der Erfolg seiner Bücher machte ihn da zu einem Privilegierten, der sich das leisten konnte und das war ihm auch immer bewusst. Er vergaß nie, dass er aus einer einfachen New Yorker Familie aus Harlem kam, sein Vater ein Arbeiter, der nebenbei noch Prediger einer evangelikalen Freikirche war.
Im Zusammenhang der Black-Lives-Matter-Bewegung ist sein Werk, das zeitweise nur noch wenig Beachtung fand, wieder sehr gefragt. Auch in Europa erscheinen Neuausgaben seiner Bücher.
Der afroamerikanische Autor hat diese neuerliche Beachtung unbedingt verdient. Baldwin hat aber nicht nur Romane und Erzählungen geschrieben, sondern auch zahlreiche Essays über die Bürgerrechtsbewegung und andere Themen. Ich habe mir vorgenommen, demnächst sein Debut-Werk „Go Tell It On The Mountain“ (deutsch: „Von dieser Welt“) zu lesen.

Einzelheiten zu seinem Leben sind hier zu finden.

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